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Keymers klassische Standortbestimmung

January 16, 2023

"Glückwunsch zu einem großartigen Turnier!" Als Vincent Keymer bei der Schnellschach-Weltmeisterschaft Ende Dezember den zweiten Platz belegt hatte, erreichte ihn sogleich eine Gratulation von ganz oben. Der neue Weltmeister Magnus Carlsen würdigte die Leistung seines jungen Widersachers, der ihn um ein Haar in einen Stichkampf um den Titel gezwungen hätte. Dem 18-Jährigen aus Deutschland fehlte nur ein halber Punkt, um den Wettbewerb gleichauf mit Carlsen abzuschließen.

Vincent Keymer
Letzte Runde der Schnellschach-Weltmeisterschaft: Magnus Carlsen hat schon gewonnen und verfolgt gespannt die Partie von Vincent Keymer. Hätte Keymer auch gewonnen, hätten der Deutsche und der Norweger einen Stichkampf um den Titel gespielt. | Foto: Lennart Ootes

Für Keymer markierten die Weltmeisterschaften im Rapid und Blitz den Auftakt einer ersten Standortbestimmung in seiner jungen Profikarriere, die im Frühjahr 2022 begann, nachdem er sein Abitur absolviert hatte (Note 1,7). Keymer steht jetzt vor einer ganzen Reihe harter schachlicher Prüfungen.

Mit der Vizeweltmeisterschaft im Rapid und einem 13. Platz im Blitz hat der deutsche Spitzenspieler demonstriert, dass er in den schnellen Disziplinen auch international mit den Besten mithalten kann. Keymer, stets bescheiden und zurückhaltend, relativierte diesen Erfolg sogleich. Wegen der höheren Fehlerquote bei kurzen Bedenkzeiten sei es "viel, viel schwerer, eine Partie im klassischen Schach gegen Weltklasseleute zu gewinnen als im Schnellschach", sagte Keymer der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

Was für ihn mit klassischer Bedenkzeit gegen die Besten der Welt möglich ist, wird Keymer sehr bald herausfinden. Nach den Weltmeisterschaften in Kasachstan stehen ihm seine ersten beiden Superturniere mit klassischer Bedenkzeit bevor, im Januar 2023 das "Tata Steel Chess" in Wijk an Zee, im Februar das "WR Chess Masters" in Düsseldorf.

Weltmeister Keymer? Ich würde mich nicht beschweren.

In Wijk wie in Düsseldorf wird sich Keymer nicht nur mit der Elite von heute messen, auch mit der von morgen. Beide Veranstalter haben darauf geachtet, neben etablierten Weltklassespielern auch Vertreter der jungen Garde einzuladen, die auf dem Sprung steht, selbst in die Weltklasse einzubrechen. Keymer glaubt, dass es noch einige Jahre dauern wird, bis sich herausstellt, welches der Supertalente von heute es nach ganz oben schafft. Sollte er selbst dereinst in die Fußstapfen von Emanuel Lasker (Weltmeister 1894-1921) treten, "ich würde mich nicht beschweren".

Aber die Konkurrenz ist groß. Die Inder Gukesh und Praggnanandhaa oder der Usbeke Nodirbek Abdusattorov, alle etwa in Keymers Alter, alle in Wijk wie in Düsseldorf am Brett, repräsentieren die neue Generation im Schach, die seit Jahren emsig die Eloleiter hinaufklettert. Keymer ist froh, dass er jetzt als Profi die Zeit hat, so viel Zeit ins Schach zu investieren, wie einige seiner jungen Konkurrenten das schon seit Jahren tun. Seinem Trainer Peter Leko verdanke er, dass er steht, wo er jetzt schon steht, unter den Top 50 der Welt nämlich.

Vincent Keymer
Grand Swiss, November 2021 in Riga: Vincent Keymer schaut Hans Niemann über die Schulter. | Foto: Lennart Ootes

Auf die beiden Superturniere, die ihm nun bevorstehen, freut sich Keymer sehr, speziell auf das Heimspiel beim WR Chess Masters. Dem Schnellschach-Vizeweltmeister gefällt außerordentlich, "dass es wieder ein Superturnier in Deutschland gibt". Das letzte sei ja schon fast vier Jahre her.

Genaugenommen war das "Grenke Classic" 2019 Keymers erstes Superturnier. Daran durfte er als großer Außenseiter teilnehmen, weil er im Jahr zuvor sensationell das "Grenke Open" gewonnen hatte, das stärkste Open Europas. Als 13-jähriger IM mit einer moderaten Elozahl von 2403 ließ Keymer 49 Großmeister hinter sich, die bis heute stärkste Turnierperformance eines 13-Jährigen jemals. Mit diesem Paukenschlag tauchte der Junge aus Saulheim als außergewöhnliches Talent auf dem Radar internationaler Beobachter auf.

Ich will mich behaupten.

Die Vizeweltmeisterschaft im Schnellschach viereinhalb Jahre später, ein weiterer Paukenschlag, ändert nichts an der Attitüde, mit der Keymer das Schachjahr 2023 angehen will. Lernen, besser werden, darum geht es für ihn zum Beginn seiner Profikarriere. Eine bestimmte Elozahl oder Weltranglistenplatzierung will er im neuen Jahr nicht anpeilen.

Aber ein Ziel hat er sich für die anstehenden Weltklasseturniere gesetzt: "Ich will mich behaupten."

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